Ein Leben für selten gewordene Tiere in der Landwirtschaft

Sie ist 25 Jahre alt und fasziniert von jahrhundertalten Schweine-, Schaf-, Ziegen- Kuh- und Eselrassen: Johanna Mehringer betreibt in Niederbayern einen Bio-Hof im Nebenerwerb.

September | 2020
Bildrechte: © Dirk Bruniecki

Johanna Mehringer sitzt am Küchentisch des Vierseithofes in Oberschneitberg, beißt in ein dick belegtes Brot mit Schafsalami und blickt aus dem Fenster: Wollschweine. Waldschafe. Alpine Steinschafe. Tauernschecken-Ziegen. Zwei Murnau-Werdenfelser-Kühe. Zwei Grand-Noir-du-Berry-Esel. Allesamt vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen. Eine Haselnussplantage und viel Grün. Jeden Tag nach der Arbeit in der Landesanstalt für Landwirtschaft in Grub fährt die junge Frau mit dem Auto knapp eine Stunde hinaus auf den Hof im Landkreis Landshut und kümmert sich um die Tiere.

„Das macht so viel Spaß“, schwärmt sie, dass auch das viele Pendeln zwischen Arbeit, Hof und zuhause nicht ins Gewicht fällt. In der bayerischen Weißbierstadt ist die 25-Jährige geboren und aufgewachsen. Hier leben auch ihre Großeltern und Eltern zusammen in einem Haus. Vater Rainer und Mutter Michaela gehen ebenfalls Vollzeit-Jobs nach. Doch seit gut 20 Jahren leben sie nebenbei ihren Traum von biologischer Vielfalt und ökologischer Landwirtschaft. Auf ihrem Bauernhof in Niederbayern züchten sie seltene Nutztiere und pflegen eine Bio-Haselnussplantage. Als es um die Vermarktung ihrer Produkte ging, entdeckten sie den Ökoverband Naturland als perfekt passenden Partner. Seither signalisiert das Naturland Zeichen auf ihren Produkten den Kund*innen auf den ersten Blick: Ganzheitliche, geprüfte Öko-Qualität.

Familie Mehringer mit ihren Ziegen.
Familie Mehringer mit ihren Ziegen.

„Als Erlebnisbäuerin das Wissen über alte Rassen weitergeben.“

„In Alpine Steinschafe habe ich mich 2016 bei einem Praktikum auf dem Bayerischen Zentral-Landwirtschaftsfest verliebt“, erzählt Johanna und ihr blonder Pferdeschwanz wippt hin und her während sie auf der Schafweide nach dem Rechten sieht. „Ich fand sie toll, weil sie so ruhig und zutraulich, so schön mit ihren verschiedenen Farben und Gesichtszeichnungen sind und perfekt zu meinen Plänen als Erlebnisbäuerin passen.“ Auf 25 Stück ist ihre Herde bislang angewachsen, die sie auch als lebendes Beispiel durch ihr Studium der Agrarwissenschaft und -management mit dem Schwerpunkt ökologische Landwirtschaft begleitete. Die eigenen Erfahrungen auf dem Hof bestärkten sie zusätzlich, dass die Bewirtschaftung nach den Naturland Richtlinien der beste Weg in die Zukunft ist. „Denn nur durch ökologische Landwirtschaft können wir erhalten, was wertvoll ist und keinen Raubbau an der Natur betreiben“, sagt die studierte Landwirtin.

Ökologisches Wirtschaften mit alten Nutztierrassen sei auch deutlich einfacher als mit Hochleistungstieren. „Denn die alten Rassen sind robust, langlebig, genügsam, gesund und resistent gegen Krankheiten und Stress. Sie sind fruchtbar, haben gute Mutterinstinkte und dienen noch dazu der Landschaftspflege und dem Naturschutz“, erläutert die Schafexpertin. „Genau aufgrund dieser Eigenschaften eignen sich alte Haustierrassen hervorragend für die extensive Haltung, wie sie im Öko-Landbau auch öfters vertreten ist als in der konventionellen Haltung. Außerdem ist es in der Tierhaltung genauso wie in der Pflanzenzucht: genetische Vielfalt ist ein großer Vorteil und macht die gesamte Landwirtschaft unabhängiger“, ergänzt Annegret Schrade, Fachberaterin für Naturland.

Auf der Haselnussplantage sind die Schafe als natürliche Rasenmäher im Einsatz.
Auf der Haselnussplantage sind die Schafe als natürliche Rasenmäher im Einsatz.

Weil sie so viele Leute danach fragen, erklärt Johanna den Unterschied zur konventionellen Landwirtschaft gerne anhand des ökologischen Kreislaufs auf ihrem Öko-Hof: „Die Haselnuss ist eigentlich ein Strauch, der zum Baum gezogen wird, in dem die unteren Äste und das Gras darunter entfernt werden. Dieses wird konventionell meist mit Spritzmitteln und Maschinen gemacht. Bei uns übernehmen diese Arbeit die Schafe. Gleichzeitig düngen sie den Boden. So baut sich neuer Humus auf, was sich positiv auf die Artenvielfalt und das Klima auswirkt, da der Luft Kohlendioxid entzogen wird.“

„Wiederkäuer finde ich deshalb so cool, weil sie aus Gras Wolle, Milch und Fleisch machen, dabei den Boden pflegen und düngen und die Artenvielfalt erhalten.“

Die Leidenschaft von Johanna Mehringer: die Züchtung alter Rassen, wie z.B. Mangalitza-Wollschweine.
Die Leidenschaft von Johanna Mehringer: die Züchtung alter Rassen, wie z.B. Mangalitza-Wollschweine.

Die Schafe werden nach dem Prinzip „nose-to-tail“ vermarktet – das heißt, das ganze Tier wird für die Fleisch- und Wurstproduktion genutzt ebenso wie Milch-, Wolle- und Fell. Mehringers überzeugte die Möglichkeit, ein Tier so ganzheitlich nutzen zu können, sodass sie sich dazu entschieden, eine weitere alte Tierrasse zu halten.: ungarische Mangalitza-Wollschweine. „Das sind ganz fette Schweine mit viel Speck, die vor knapp 200 Jahren gezüchtet wurden, um die Mangelware Fett in Notzeiten zu liefern. Fettes Fleisch war irgendwann nicht mehr angesagt, aber wir brauchen ihren Speck für unsere Schafwürste“, so Johanna. Die wollartigen Borsten machen Wollschweine kälteresistent, schützen sie vor Hitze und ermöglichen somit eine ganzjährige Freilandhaltung. „Sie fressen alles, was von den Bäumen fällt und bekommen etwas Hafer – nur Futtermittel, welche die ökologische Landwirtschaft abwirft. Zugekauft wird nichts.“ Die Tiere wachsen deshalb langsamer, sind nach Johannas Erfahrung aber gute Futterverwerter und auch widerstandsfähiger: „Alte Rassen wie unsere Schafe und Schweine kommen gut mit magerem Futter klar. Unsere Steinschafe haben viel Nierenfett, wovon sie in Notzeiten zehren können. Bei modernen Fleischschafen wurde das Nierenfett aus Gewichtsgründen weggezüchtet. Wegen des hochwertigen Futters müssen sie darauf nicht mehr zurückgreifen.“ Lämmer werden auf ihrem Hof erst im Alter von zehn bis zwölf Monaten geschlachtet und nicht wie üblich mit vier Monaten.

Die Wollschweine leben bis zur Schlachtung zwei Jahre statt nur sieben Monate. Was sich die Familie auch deshalb leisten kann, weil sie den Öko-Hof nur im Nebenerwerb betreibt. Johanna seufzt, während sie in ihre grünen Gummistiefel schlüpft. Zwei Buben, so heißen alle männlichen Wollschweine bei den Mehringers, müssen bald geschlachtet werden. Mit dem Herbst kommt auch das perfekte Wetter zum Räuchern und für luftgetrockneten Schinken. „Es fällt mir immer schwer, wenn die Tiere zum Schlachten müssen“, meint sie.

„Es ist ganz wichtig für mich, dass in der Gesellschaft ein Umdenken zu nachhaltigem Fleischkonsum stattfindet.“

Seit gut 20 Jahren lebt Familie Mehringer ihren Traum von biologischer Vielfalt und ökologischer Landwirtschaft.
Seit gut 20 Jahren lebt Familie Mehringer ihren Traum von biologischer Vielfalt und ökologischer Landwirtschaft.

Das Lächeln der Powerfrau ist schnell wieder da, wenn sie von der Wertschätzung ihrer Kund*innen gegenüber dem Produkt Fleisch erzählt. „Ich habe jetzt schon eine Liste von Leuten, die Schnitzel vorbestellen – doch bei einem Wollschwein fallen nicht so viele Schnitzel ab.“ Wie bei den Schafen gilt auch hier „nose-to-tail“ - das ganze Schwein wird verarbeitet. Zu Leberkäse, Weißwürsten, Wienern, Presssack, Braun- und Schwarzgeräuchertem, Streichwurst oder selbst gemachten Leberknödeln.

„Wer bei uns einkauft, kauft den Mehrwert von sauberem Wasser, gesundem Boden, Insekten und Vögeln mit – eine Natur, die man der nächsten Generation guten Gewissens weitergeben kann.“

Ihre Produkte verkauft die Agrarwissenschaftlerin direkt auf dem Hof und auf einem regionalen Bio-Bauernmarkt in München. „Die Direktvermarktung ist eine meiner Herzensangelegenheiten“, meint Johanna, „doch momentan ist es schwierig“. Mit ihrer ersten festen Stelle nach dem Studium als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Schaf-Ziege beim Institut für Tierzucht ist ihre Zeit begrenzt. Eigentlich wollte sie nur einen Halbtagesjob, „aber die Stelle hat nach mir gerufen, ich musste sie einfach haben“. Und da ist sie wieder, die pure Leidenschaft, die das außergewöhnliche Stadtkind antreibt.

„Der Klimawandel wirkt sich extrem auf Kartoffeln aus, sie mögen keine Hitze“, weiß Eberhard Räder. Denn die Pflanze, die ursprünglich aus den Anden stammt, braucht gemäßigte Temperaturen. Ab 25 Grad reagieren Kartoffeln mit Stress. Bei höheren Temperaturen stellen sie gar ihr Wachstum ein. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes gab es im Jahr 2019 insgesamt 17 Tage mit Temperatu-ren von mehr als 30 Grad. Im Jahr zuvor waren es sogar 30 Tage, die die Bio-Kartoffeln unter Dauerstress setzten.

Ihre Erzeuger hingegen empfinden keinen Stress bei der Arbeit, nicht einmal bei der zeitkritischen Ernte. „Dieses Jahr haben wir die 100-Stunden-Woche geknackt“ sagt André Nöthling und lacht. „Wenn man etwas von Herzen und mit Engagement und Überzeugung macht, dann kommt auch etwas Gutes dabei heraus“, fügt Kollege Räder an. Nicht nur bei ihren Kartoffeln.

Schon gewusst?

Einheimische Wiederkäuer in Gefahr

Laut einer Erhebung der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung waren 2019 in Deutschland 54 von 77 einheimischen Rinder-, Schweine-, Ziegen-, Schaf- und Pferderassen als gefährdet eingestuft.

Direkt vom Hof

Mehr als 570 Naturland Betriebe bieten ihre tollen Bio-Produkte deutschlandweit direkt ab Hof an, regionaler und frischer geht es gar nicht. Von A wie Apfel bis Z wie Zierpflanzen, den Naturland Hof in der Nähe findet man auf der Naturland Seite unter www.naturland.de/einkauf

Genetische Vielfalt erhalten

Die genetische Vielfalt der landwirtschaftlich genutzten Pflanzen und Tiere ist eine wesentliche Grundlage und Ressource für künftige Nutzungen und Innovationen. Sie trägt zur Sicherung unserer Ernährung und Rohstoffversorgung bei. Diese Vielfalt nimmt weltweit rapide ab. Insgesamt Naturland 120 Betriebe haben es sich zur Aufgabe gemacht, speziell alte Haustierrassen zu halten und damit einen Beitrag zum Erhalt der genetischen Vielfalt zu leisten.

Wichtig fürs Ökosystem

Durch Weidetiere wie Schafe, Ziegen, Pferde oder Rinder wird die strukturelle Vielfalt von Flächen erhöht. Sie fressen bevorzugt schmackhafte Pflanzen und durch ihren Tritt entstehen Lücken in der Grasnarbe, in denen sich neue Pflanzen ansiedeln können. Der Kot bringt für Tiere und Pflanzen neue Nährstoffe auf die Fläche und trägt durch seine ungleichmäßige Verteilung und Zersetzung zur Strukturvielfalt bei. Diese bringt zahlreichen Tieren und Pflanzen neue Lebensräume und Nahrungsquellen.